TRANS-MILLENIA CONSORT (GERMAN VERSION)
Trans-Millenia Consort
Die Story dieser Platte, wie ich zu ihr kam, was sie bedeutet und so, verschweige ich normalerweise. Obwohl ich jedes Mal danach gefragt werde, was das da eigentlich sei wenn ich sie laufen lasse, weil sie so auffällig gut ist. Eine richtig gute Platte ist immer eine Story. Eine Beziehungsgeschichte. Ich und meine geliebte Platte. Aber in dem Fall versuche ich immer die Fragenden abzulenken indem ich von noch viel selteneren Platten erzähle, oder mit hochspannenden Fakten irritiere, von dieser einzigartigen blinden Synthiefanatikerin mit dem Esotouch, die Anfang der 1980er in der ersten Welle der Silicon Valley Euphorie diese Klänge erzaubert hat, diese kleinen perlenden Melodien, die sich so gut anfühlen wie Pusteblumen fliegen lassen für Zweijährige, dazu diese New Age Flächen, wie schöne weite Landschaften über die das Zeug dann fliegt, unterlegt mit sacht flackernden Beats die eigentlich erst 15 Jahre später erfunden und dann Breakbeats oder Drum&Base genannt werden sollten.
Dass ich nichts über die Platte erzähle liegt daran, dass Trans Millenia Consort von Pauline Anna Strom genau das geworden ist, was eine Platte viel eher sein kann als ein File: ein Träger von persönlichen Erinnerungen. Files können Daten speichern. Platten speichern Gefühle. Keine Ahnung warum das so ist. Eigentlich sind ja beides Medien gemacht zum Speichern von Daten. Und esoterisch bin ich nicht. Analog ist für mich kein Zauberwort. Das Ding ist: so wie mich das Knacken und Knistern bei Platten ehrlich gesagt stört, genauso sind die gespeicherten Erinnerungen, die sich an meine Platten heften ja nicht immer nur positiv. Das sollte man nicht verherrlichen. Manche Platten stehen für schlechte Zeiten. Manchmal will man keine solchen Erinnerungen an seinen Platten kleben haben. Selektiv löschen geht aber auch nicht. Nun, auf dieser Platte ist ein echter Schlag vereint mit dem wohl grössten Highlight. Ich liebe die Platte daher, ich hasse sie auch inbrünstig und kann sie daher nicht immer hören.
Es geht um Liebe. Um zwei Frauen. Meine jetzige Frau, und die davor. Ich hatte sie schon kennengelernt als sie 15 war. Und ich 25. Sie war die beste Freundin der kleinen Schwester einer verflossenen Teenagerliebe von mir. So hatte ich sie irgendwann kennengelernt. Und zwar als besagte kleine Schwester, die ich noch als kreischendes, im falschen Moment türenaufstossendes Milchzahn-Schwesterchen kennengelernt hatte, plötzlich bei mir auf Skype auftauchte und anfragte ob wir einen Drink nehmen sollten.
Während ich mich um andere Sachen gekümmert hatte, war sie nämlich sechzehn geworden, hatte mich im Netz gefunden und war auf die Idee gekommen mich einfach mal anzurufen. Ich hatte damals grade nix besseres zu tun als mit einer 16-jährigen rumzuhängen, und das ist ja auch spannend mal zu sehen was sich so entwickelt und so traf ich mich mit ihr. In einer Bar. Sie war ein zuckersüsses blondes Girl geworden die nur Quatsch erzählte, kicherte und alles was ich ihr erzählte ausdrücklich „cool“ bzw. „supercool“ fand. Dann trat ihre beste Freundin (BF) in den Raum. Nennen wir sie Bifi. Das war ungefähr das süsseste Mädchen, dass ich in meinem Leben gesehen hatte.
Eine ehemalige Ballerina mit wunderschönen schwarzbraunen Haaren, milchweisser Haut, einer hohen runden Stirn und Augen wie, hm, Teletubbys. Sie trat ein und sagte mit einer glockenhellen Stimme irgendwelche Schimpfwörter über irgendwas das sie grade erlebt hatte. Ich war komplett verwirrt. Da stand ich nun in einer Bar, Mittzwanziger mit ungeklärtem Selbstbewusstsein, Krise auf zwei Beinen, zwischen zwei zauberhaften, viel zu jungen Damen die mich beide anhimmelten. Keine Ahnung wofür.
Am Ende des Abends lag Bifi vor mir im Bett der Mutter ihrer besten Freundin – sturmfrei! - und wollte Sex. Allerdings war ich zu un-YOLO dafür.
Bifi auf jeden Fall hatte fortan meine Nummer und meldete sich gelegentlich. Wir sprachen dann ein bisschen und ich glaube sie sagte mir dabei damals, dass sie MGMT möge. Eine schreckliche Band, sagte ich. Ich träumte davon, was für eine wunderbare Frau sie wohl einst sein könnte, wenn sie einen wirklich guten Musikgeschmack hätte. Die Idee begeisterte mich. Eine Traumfrau. Ich begann ihr Mixes zu schicken um sie auszubilden. Sie reagierte extrem positiv. Ich versuchte mir einzureden ich sei so was wie ein grosser Bruder. Bald begann sie mir mit Mixes zu antworten, und die wurden immer besser. Sie besuchte mich auch ein, zwei Mal, aber ich biss die Zähne zusammen.
Bifi lernte fotografieren. Ihre Teasepics testete sie an mir aus. Ihr Musikgeschmack wurde immer besser. Kurz vor ihrem Abi schrieb mir einen Liebesbriefe in denen sie davon sprach, dass sie jetzt ganz bald frei und volljährig sei. Manchmal begann ich mir auszumalen wie es wohl wäre. Als Bifi Zwanzig war, zog sie für eine Weile in eine grössere Stadt (ich habe vergessen zu sagen, dass sie davor am Land lebte). Ihre Tapes und YouTube-Links wurden exzellent. Wie sich rausstellte, war sie mit einem Experimental-DJ zusammengekommen, der etwa 10 Jahre älter als ich ist. Sie hatte versucht, mir das zu verheimlichen aber mich erleichterte es irgendwie als ich es erfuhr. Sie sammelte Affären mit alten Typen dachte ich und vergass sie. Bis auf die Momente, in denen ich an sie denken musste. Einmal schickte ich ihr Woo.
Dann, zwei Jahre später, Dezember 2011 stand sie plötzlich vor meiner Tür. Machen wir es noch mal kurz: ich hatte das Gefühl mein heimlicher Traum wäre plötzlich Wahrheit geworden, die letzten Jahre, alles würde plötzlich Sinn machen und ich sollte jetzt verdammt noch mal ja sagen zum Glück, das sich da mit strahlenden Bambiaugen an mich warf. Sie sah blendend aus, hatte einen überirdisch guten Musikgeschmack und machte dazu noch ein interessantes Studium, das sie passioniert verfolgte. Ein bisschen konnte ich das alles nicht glauben. Als hätte ich mir meinen Traum irgendwie selber herangezogen.
Sie zeigte mir fantastische Minimal Wave Sachen von denen ich noch nie gehört hatte. Ich lernte über sie die japanische 80er Jahre Elektro-Fusion Szene kennen. Mariah. Wir kamen zusammen. Ich hatte noch nie eine Freundin gehabt, die dermassen gute Musik in mein Leben gebracht hatte. Hier eine ihrer Playlists. Kopiert aus einer Mail.
PASS AUF DICH AUF!
FOLGENDE LIEDER SIND AUF MEINER "ALPIN / SKILIFT/ PANORAMA"
WIEDERGABENLISTE
Xingu - Zenamon
Shirt No.7 - Durutti Column
Yodel 1, 2, Pauls Dance, Air Dancer - Penguin Cafe Orchestra
Charotte - Ernest Hembersin
Managua - Finis Africae
Are you Awake- Kevin Shields
Brass Pocket- Pretenders
WINTAUGE (meinst du die meinen das ernst?)
http://cdreissuewishlist.blogspot.com/2012/02/wintauge-germany.html
DA SIND ALLE SAMPLES GANZ GUT:
http://musk31as.blogspot.com/
Ich kaufte einen alten Thorens Plattenspieler und trug ihn in ihr Zimmer als Zeichen dass ich angekommen war. Gleichzeitig fing es bei mir an beruflich zu laufen. Ich war Anfang Dreissig, Plattensammler-Paradies-Freundin plus Traumberuf. Und dann zeigte sie mir Pauline Anna Strom. Ich glaube sie hatte es als namenlosen file. Irgendwoher. Hört Euch das an. Emerald Pool heisst das. So war mein Leben. Genau in diesem Moment.
Das wollte ich auf Platte. Unbedingt. Diese Gefühl aufheben.
Auf Discogs war die Scheibe noch nicht mal eingetragen, glaube ich. Ich setzte meine ganze Recherche-Power ein, alles, wirklich, und tatsächlich. Ich fand nicht nur den Namen, sondern auch die Platte. Einen Google Eintrag Nr. 217. Auf einem obskuren Eso-Forum hatte eine Person mit dem Pseudonym Jagat Rainbow eine Mailadresse gelassen und geschrieben er hätte grade einen Stapel alter Platten gefunden. Name des Interpreten Pauline Anna Strom. Preis 15 Dollar. Ich schrieb ihn/sie an:
> From: hgrassegger (()) xxxxx.de
> Subject: Record: Anna Pauline Strom - Trans Millenia
> Date: Sun, 19 Feb 2012 21:10:45 +0100
> To: magicvision (()) yyyyyy.com
>
> Dear Sir or Madam,
>
> I would like to know if I can order
> Anna Pauline Strom - Trans Millenia
>
> with you?
>
> I read on the internetblog about you offering the record
>
> Kind regards from Zürich,
> Hannes
>
Am 19.02.2012 um 22:18 schrieb jagat rainbow:
Dear Hannes,
Yes, I will create a paypal link for you to place an order. You are aware that it is a LP record.
Will send link in next day or so. Thank you for touching in.
Best regards from California
Jagat
Date: Sun, 19 Feb 2012 22:26:51 +0100
Dear Jagat, no worries! thank you, it is a vinyl record?If so, thats good!
Hannes
Hi Hannes,
Yes it is a vinyl record and is shrink wrapped new condition..never opened.
The shipping from USA to Switzerland is $15.00 I accept payment via paypal
my address is
magicvisions@yyyyy.com
or I have created a link for you.
https://www.paypal.com/cgi-bin/webscr?cmd=_s-xclick&hosted_button_id=PUFYG6UBK6E5Y
I will ship as soon as I receive your payment. Please make sure your address below is correct. Thank you!
Jagat
PS. I was listening to a documentry on youtube last night about Billy Meier.
Are you aware of this man?
Here's the link to part 1 of 12
http://youtu.be/jsp6lF4SCKI
Am 27.2. dann:
Hi Hannes,
I sent it last Wednesday via post. Should arrive this week. Marked it as gift.
Please let me know when it arrives.
Thank you
Jagat
Während ich auf die Platte wartete, passierte etwas. Es gab da ein kleines Rätsel. Bifi hatte mir nie so richtig erklären können, wie sie jeweils zu diesen Liedern, kam die mich so für sie begeisterten. Auf eine Art fehlte ihr ja die Grundausbildung für so ein Verständnis. Irgendwas stimmte nicht so richtig.
Eines Frühmorgens klingelte ihr Migros Billig Phone. Sie hatte den Wecker angelassen und ich drückte halbblind dran rum um das irgendwie auszukriegen. Dabei öffnete sich eine SMS.
Wenn ich es heute richtig verstanden habe, dann hatte Bifi mehrere Männer. In mehreren Städten. Fast alles Musiksammler, zum Teil ziemlich hochkarätige Kaliber. Ihr System scheint gewesen zu sein, die Jungs gegenseitig mit ihrer Musik anzufeuern. Wahrscheinlich um an noch bessere Musik ranzukommen. Das ist nur eine Hypothese. Ich hab nie nachgefragt. Aber einer jedenfalls war nur für Sex gedacht. Dessen SMS hatte sich vor mir geöffnet.
Als die Platte ein paar Tage darauf bei mir ankam, machte ich ein Bild von mir mit der Scheibe in der Hand. Auf dem Foto sehe ich nicht so glücklich aus. Aber in diesen Märztagen als ich die Platte bei mir hatte, bin ich glaube ich erwachsen geworden. Für meinen Teil entschloss ich mich fortan keine U25er mehr zu daten. Das war die letzte Lektion in Sachen Jugendträume. Sollen die doch machen was sie wollen. Bifi hatte ich noch am Morgen komplett aus meinem Leben verabschiedet. Und zwar ziemlich zackig.
Die Platte selber stand irgendwie direkt am Beginn einer neuen Epoche. Oder genauer: sie war der Soundtrack, der den einen Teil vom anderen trennte. So eine Brücke oder Grenzlinie. Mir passt das Trans-Millenia gut im Titel. Nicht wirklich der Soundtrack einer neuen Zeit.
Bis ich im kommenden Jahr die Frau meines Lebens traf. Die ist nicht nur so alt wie ich, hat wahnsinnige Mandelaugen, rote Haare, einen echten Beruf und einen umwerfenden süssen französischen Akzent – sondern sie interessiert sich auch eher für Kunst als für Musik. Bei Musik mochte sie Bloc Party. Das ist so wahnsinnig schlecht, das ist quasi naiv so was dermassen (mir fällt gar kein Wort dafür ein) überhaupt hören zu können. Das fand ich irgendwie wild und frisch. Mir war das auch wahnsinnig sympathisch. Ich versuchte erst gar nicht dran rumzudoktoren. Ich fand Mandelauge genauso richtig wie sie ist. Inklusive Sachen die ich nicht richtig finde, sondern Bloc Party. Das Leben ist kein Design-Objekt. Die Weird Science Phase war definitiv vorbei. Wir waren so verliebt, ich zog gleich bei ihr ein, das heisst, ich schleppte meine zehn Meter Platten an und stellte ihr Wohnzimmer voll damit. Sie war die erste Frau, der ich nicht die ganze Zeit Musik vorspielen wollte, um ihr Herz für mich zu gewinnen. Das hatte sich ja als Sackgasse erwiesen. Bei uns ging es um was anderes. Was sie scheinbar ein bisschen traurig fand. Und veranlasste heimlich an meine Plattensammlung zu gehen.
So kam es auch, dass an einem der ersten Abende als ich in meines neues Zuhause kam, grade als ich endlich den Plattenspieler installiert hatte, wunderbare zarte Klänge unseren Salon erfüllten. In der Mitte sass meine Freundin, ganz glücklich, und frage: «Woher hast Du denn diese komische Platte? Diese Pauline Anna Strom? Das ist so schön, ich musste heulen als ich es gehört habe.» Da habe ich auch ein bisschen geheult, also nach innen. Dann hab ich gesagt, die hat mir Jagat Rainbow geschickt.
Hannes Grassegger ist Ökonom und Reporter für Das Magazin und REPORTAGEN. Kürzlich hat er mit Holly Herndon einen Mix auf dismagazine veröffentlicht.